Eine huhnige Weihnachtsgeschichte oder: Wie die Bertha zu ihrem Menschenhahn kam. Es war im Dezember in einem Kleintierzuchtverein irgendwo auf dem Lande. Dort begab es sich, dass noch ganz viele Junghähne und Junghennen nicht vermittelt waren und langsam die Schlachtzeit nahte. Spätestens im Januar musste es Platz geben, spätestens dann mussten alle nicht zuchttauglichen Tiere weg sein. In diesem Jahr gab es wie immer Hähne und Hennen, die noch auf einen neuen Halter warteten. Eine davon war die Bertha. Bertha war ein ganz liebes Tier, das immer gut drauf war. Das war relativ leicht für sie, denn sie war eine wahre Schönheit, zumindest dachte sie das, wenn sie ihr Spiegelbild in einer Pfütze sah, zudem wusste sie ja nicht, dass sie zu den “Aussortierten” gehörte. Aussortierte wurden irgendwann ab Herbst separat gehalten, sie bekamen reichlich Futter und sollten ihre letzten Tage genießen können.
Und Bertha genoss die Tage. Dank der milden Witterung war ihr noch gar nicht bewusst geworden, dass es auf Weihnachten zuging, dank ihrer Rasse, sie gehörte zu den Cochins, war sie dankbar über das reichliche Futterangebot. Da sie noch nicht geschlechtsreif war, störte es sie nicht, dass sie ohne Hahn in einer Junghennengruppe lebte, nur in letzter Zeit hatte sie manchmal so ein vages Gefühl, dass da irgendwas fehlte. Zur selben Zeit begab es sich, dass in einem Hühnergarten eine andere Bertha das Zeitliche segnete. Diese Bertha hatte eine schlimme Krankheit und obwohl sie zunächst noch dagegen kämpfte, verlor sie den Kampf und ihre Menschen mussten sich von ihr verabschieden. Eine traurige Angelegenheit so kurz vor Weihnachten. Die junge Bertha im Geflügelzuchtverein lebte derweil vor sich hin und war immer fröhlich- gutes Futter, gutes Wetter- ihr wisst schon- alles, was Cochin lieben. Leider war es mittlerweile nicht mehr ganz so schön wie zu Anfang, denn immer wieder fehlten Tiere. Die anderen Hennen hatten Sorgen, sie erzählten sich, dass die fehlenden Tiere geschlachtet würden, denn die Henne Gunda meinte mal, das beobachtet zu haben und seitdem wurde jedes fehlende Tier betrauert und alle hatten Angst, wenn die Stalltür aufging. Die ganze gute Stimmung war getrübt. Bertha allerdings war Frohnatur, sie schenkte den Worten der Gunda keine Beachtung- “Warum sollten wir geschlachtet werden, wenn man nicht mehr will, dass wir leben, dann würde man uns doch nicht so sehr verwöhnen”. Deswegen war sie nicht ängstlich, als sie eines Tages aus dem Stall rausgeholt wurde, im Gegenteil, gespannt auf tolle Abenteuer stand sie als einzige Henne direkt vor der Tür und war die erste, die sich fangen ließ. “Es geht los- gut, dass jetzt mal wieder Spaß im Vordergrund steht- war ja doch ein bisschen anstrengend mit euch in letzter Zeit, Mädels”. Danach ging es in eine Kiste, Gunda rief noch aus dem Stall hinterher “Das ist die Schlachtkiste. Dort werden die Hühner bis zur Schlachtung deponiert”. Bertha hingegen sah die Kiste und dachte sofort an eine aufregende Reise, die sich antreten würde, “ist doch klar, dass ich dann sicher verpackt werde.” Und nun stand sie da in dieser Kiste, neben ihr noch zwei Freundinnen aus ihrem Stall und in einer andern Kiste weitere Tiere, die sie allerdings nicht kannte. Plötzlich kam ein fremder Mann und holte sich einen Hahn aus der anderen Kiste raus und verbrachte ihn in einen Futtersack. “Oh, der Hahn bekommt nun seinen eigenen Futtersack und darf wahrscheinlich so viel essen, wie er will”. Der Hahn wurde abtransportiert und bald darauf kam der Mann wieder und holte das nächste Tier, dieses Mal eine Henne. Auch die Henne kam in den Futtersack. Die anderen Hühner wurden nervös, “das ist doch nicht bequem, ich würde da nicht in dem Sack gesteckt werden wollen”, hörte man eine sagen, ein anderer meinte: “Mir ist das nicht geheuer, Leute, das sieht nicht gut für uns aus”. Bertha hingegen ließ sich nicht beirren und war weiter gespannt auf die zu erwartenden Abenteuer. Derweil begab es sich, dass die Frau aus dem Hühnergarten mit Freundinnen unterwegs war, um den Züchter in der Zuchtanlage zu besuchen. Von den drei Freundinnen wollte nur eine Hühner mitnehmen, sie hatte geplant, einen Hahn und 3 Hennen zu nehmen. Die beiden anderen wollten nur schauen. Als die Freundinnen ankamen, ging es gleich in den Stall, damit ein Hahn und Hennen ausgesucht werden konnten. Die Gartenfrau stand unschlüssig in der Nähe der Kisten und wartete. Auch sie sah den Mann, der Hühner abholte und in den Sack tat. Neugierig geworden, öffnete sie eine der Kisten. Das war durch Zufall die Kiste von Bertha. Und weil die beiden anderen Hennen ängstlich waren, weil sie zuvor die Aussagen der anderen Hühner gehört hatten, stand nur die Bertha aufmerksam da und schaute erwartungsvoll nach oben. “Jetzt geht es los- das Abenteuer beginnt”. Und wie sie da so schräg nach oben schaute, reagierte die verstorbene Bertha im Hühnerhimmel, die ganz genauso aussah wie die junge Bertha und die wusste, wie sehr ihre Halter um sie trauerten und schickte ein Fünkchen Hennenglücksstaub nach unten. Und weil Hennenglücksstaub- wer Hühner hat wird das bestätigen- eine Droge ist, der man nicht widerstehen kann, traf dieser Blick von der jungen Bertha direkt in das Herz der Gartenfrau. Diese hat eigentlich schon genügend Hühner und ihr Mann hatte auch strenge Vorgaben gemacht, bevor sie zu dem Ausflug startete: “Bring mir ja keine neuen Hennen mit, sonst bin ich sauer” gab er ihr mit auf den Weg. Aber gegen Hennenglücksstaub ist niemand gefeit und deswegen war die Gartenfrau nun gezwungen, die Bertha aus der Kiste zu nehmen. Und da Bertha eine zuversichtliche und optimistische Henne ist, ließ die das nicht nur geduldig zu, sondern war ruhig auf dem Arm und schaute aufmerksam um sich. Und als dann der Züchter kam und sagte: “Ihr könnt mitnehmen, was ihr wollt, heute gibt es die Tiere geschenkt”, konnte die Gartenfrau nicht anders, die Bertha musste mit in den Hühnergarten. Nun ging es für Bertha wirklich auf die Reise- ca. eine Stunde saß sie in einem Gefährt, das sie in Richtung Hühnergarten brauchte. Die andere Frau hatte sich auch Hühner ausgesucht, in 2 Kisten neben ihr saßen 3 weitere Hennen und ein Hahn. Im Auto saßen die drei Freundinnen, eine davon, die Gartenfrau, ein bisschen still geworden, ahnte sie schon, dass der schwierige Teil erst jetzt kommen würde. Die Anweisungen des Gatten waren klar und deutlich gewesen und sie hatte dagegen verstoßen. Was würde das bedeuten für sie und für die Henne? Nach einer kurzen Verabschiedung der Freundinnen ging es die letzten Meter mit dem Fahrrad zum Hühnergarten und dort war er auch schon, der Gatte der Gartenfrau. Dieser kam gleich zur Tür, als er sah, dass die Gattin eine Kiste dabei hatte. “Ich hoffe, da ist kein Huhn drin”, waren seine ärgerlichen Begrüßungsworte und er öffnete die Kiste. Bertha sah nach oben und was sie saß, ließ sie vor Glück erzittern: Da stand ein wunderschöner Menschenhahn, groß gewachsen und nett sah er aus- das war Liebe auf den ersten Blick. Sie wurde sanft aus der Kiste gehoben und wusste: “Ich bin angekommen, mein neuer Hahn ist wunderbar, ich werde ihm für immer folgen”. Und sie folgte ihm tatsächlich auf Schritt und Tritt und ließ sich auch später mühelos auf den Arm nehmen und war immer in der Nähe des neuen Menschenhahnes. “Die sieht ja aus wie unsere verstorbene Bertha” waren dann auch gleich seine ersten Worte. Und nun war das Weihnachtswunder vollbracht: Eben weil die Bertha so zuversichtlich und optimistisch war und sich so gut bei dem Gatten eingeschmeichelt hat, war sie eine willkommene Neuhenne und durfte von dem Tag an im Hühnergarten leben. © S.Speer